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Gestaltende Finanzpolitik



Project Details

Project duration: 11/200802/2009



Abstract
Ausgangspunkt der im Rahmen dieses Workshops angestoßenen Diskussion bildet die Idee einer vorsorgenden Sozialpolitik (vgl. Schroeder 2008). Diese versteht sich als Antwort auf die Legitimations- und Leistungsschwäche des nachsorgenden Sozialstaats. Sie zielt darauf ab, früher und wirkungsvoller zu fördern, um spätere Probleme zu vermeiden oder zu reduzieren. Vorsorgende Sozialpolitik, die sich somit als nachhaltige Politik versteht, bedeutet keine Abkehr von nachsorgenden Sozialleistungen, sondern ist eine zeitgemäße Weiterentwicklung des bundesdeutschen Sozialversicherungsstaates, der nicht länger als rein reaktive, sondern - gerade unter der politischen Notwendigkeit einer soliden Haushaltskonsolidierung - viel stärker als produktive Kraft wiederentdeckt werden muss. Die Finanzpolitik profitiert daher in zweierlei Hinsicht direkt von der Vermeidung sozialpolitischer Risikokosten:

1. durch die Minderung von Ausgaben für soziale Transferleistungen und
2. durch die zusätzlichen Einnahmen von Steuern und Sozialabgaben.

Investitionen in vorsorgende Sozialpolitik sind somit kein Nullsummenspiel sondern zahlen sich langfristig aus. Instrumentell sollte insbesondere den Faktoren Infrastruktur und Steuern eine größere Bedeutung zukommen. In diesem Sinne sollte sich Sozialpolitik wieder stärker als innovative Gesellschaftspolitik beweisen, in dem sie auf strukturelle gesellschaftliche Veränderungen neue Antworten gibt.

Das Ziel, tragfähige Finanzen mit sozialer Teilhabe zu verbinden, darf auch unter Bedingungen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise nicht aus den Augen verloren werden. Die grundlegenden Strukturprobleme werden schließlich auch nach der Krise bestehen bleiben. Daher darf die Reformarbeit in diesem Politikfeld nicht ausgesetzt, sondern muss mit den Programmen zur Förderung wirtschaftlicher Dynamik verbunden werden. Damit dieser und weitere Schritte nicht ziellos unternommen werden, ist es notwendig, ein erkennbares Ziel zu benennen, an dem man sich wie an einem roten Faden orientieren kann.

Für die Konzeption des Vorsorgenden Sozialstaats sind vor allem folgende vier Politikfelder maßgeblich, die aber wiederum mit einer Vielfalt weiterer Faktoren vernetzt sein müssen:

- Eine zentrale Basis ist eine veränderte Familienpolitik. Es müssen tragfähigere Schnittstellen zwischen Familie und Beruf sowie mehr und bessere Betreuungsmöglichkeiten geschaffen werden, damit frühkindliche Förderung in wirklich allen Familien gewährleistet werden kann.
- Eine ähnliche Bedeutung kommt der Bildungspolitik zu, die schon in der frühkindlichen Phase gezielt einsetzen muss, um den Einzelnen so früh wie möglich zu fördern und damit Chancengleichheit herzustellen.
- Die dritte Säule bildet die Gesundheitspolitik, die viel stärker präventiv angegangen werden muss.
- Zu guter letzt sollten sozialpolitische Anstrengungen wesentlich stärker auf eine aktive Einwanderungs- und Migrationspolitik konzentriert werden, da deren randständige Rolle einen Teil der aktuell debattierten sozialen Probleme in diesem Land verantwortet.

Der Aufbau und die Entwicklung geeigneter Strukturen im Sinne von Care Management, die Qualifizierung der Mitarbeiter und die Entwicklung eines modifizierten Steuer- und Beitragskonzeptes unterstützen diesen präventiven Hilfeansatz.

Dieser Paradigmenwechsel der Sozialpolitik - weg von einer Fürsorge- und Wohlfahrtspolitik hin zu einer neuen Form von Investitionspolitik - ist verbunden mit einer Reihe von inhaltlichen, prozessualen und institutionellen Veränderungen.

Allgemein lassen sich folgende strategische Prinzipien dieser vorsorgenden Politik festhalten:

- Die Teilhabe der Menschen am Arbeitsmarkt ist das zentrale Element zur gesellschaftlichen Integration des Einzelnen und muss durch vorsorgende Sozialpolitiken viel stärker forciert werden. Der nachsorgende, interventionistische Wohlfahrtsstaat bot Schutz und Unabhängigkeit vor ökonomischen Krisen. Die soziale Lage war nur schwach mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt gekoppelt. Im vorsorgenden Wohlfahrtsstaat hingegen sollen soziale Hilfen unter der Perspektive der Integration in den Arbeitsmarkt gewährt werden. Sozialpolitik ist daher ausgerichtet auf die Befähigung des Einzelnen zur Teilhabe an demselben und setzt somit auf eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik.
- Präventiv orientierte soziale Investitionen statt reiner Sozialversicherung: Während sich der Sozialstaat bislang mehrheitlich auf das Sozialversicherungssystem stützt und soziale Dienste nur eine Randstellung haben, kommt es im Vorsorgenden Sozialstaat zu einem Bedeutungsgewinn sozialer Investitionen. Die vorsorgende Sozialpolitik schafft damit Grundlagen für mehr Chancengleichheit und
-gerechtigkeit.
- Vorsorgende Sozialpolitik ist zunächst mit höheren finanziellen Investitionen verbunden. Im Gegensatz zum intervenierenden Staat, der primär von der Expansion der Sozialquote geprägt war, ist das Ziel des vorsorgenden Staates jedoch die langfristige Stabilisierung derselben, die im internationalen Vergleich in Deutschland ohnehin sehr hoch ist. Zudem zielt er darauf ab, eine steigende Beteiligung privatwirtschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure und eine höhere Verantwortung der Betroffenen zu erreichen. Dies ist allerdings nur durch kurz- und mittelfristig höhere Investitionen in die soziale Infrastruktur, Qualifizierung und Professionalisierung der MitarbeiterInnen in den sozialen Diensten möglich.
- Ex ante statt ex post-Orientierung. Soziale Leistungen wurden bislang ex post, also mit dem Aufkommen sozialer Risiken bereitgestellt. Im aktivierenden, vorsorgenden Wohlfahrtsstaat, sollen die Menschen zu Vorsorge und Prävention angehalten werden. Alternsgerechte Sozialleistungen und betriebliche Praktiken sollen bspw. die gesundheitlichen Folgen des Erwerbslebens mindern und so eine längere Erwerbsdauer ermöglichen.
- Vernetzung der sozialen Angebote: Der nach- und fürsorgende Staat gewährte vor allem materielle Hilfen (passive Leistungen), während sich der investive Staat um die Organisation von Diensten (Care Management) bemüht. Case Management oder Fallmanagement sind die entsprechenden Instrumente für die individuelle Organisation der sozialen Dienste.
- Neue soziale Dienstleistungen: Im Zuge der Globalisierung und Individualisierung entstehen neue soziale Risiken, die ebenfalls präventiv aufgefangen werden können. Eine biographieorientierte Sozialpolitik, die die verschiedenen Lebenslagen berücksichtigt, eine Migrations- und Integrationspolitik zur Berücksichtigung von Minderheitengruppen sowie ein Verbraucherschutz, der die BürgerInnen bei der Information, Auswahl und bei Rechtsansprüchen gegenüber sozialen Dienstleistungsträgern berät, sind neue zentrale Anforderungen an eine moderne Sozialpolitik.

Basis für eine vorsorgende Sozialpolitik sind die Felder der Bildungs-, Gesundheits- und Integrationspolitik, da hier die Grundlagen für gesellschaftliche Chancengerechtigkeit gelegt werden. Es geht darum, eine dauerhafte Perspektive für die Betroffenen zu entwickeln. Dazu gehört auch Planungssicherheit für Familien und die Sicherung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Feld Familienpolitik. Verstärkte Anstrengungen in diesen Bereichen bedeuten jedoch keine Vernachlässigung anderer sozialpolitischer Felder. Im Gegenteil: Dortige Anstrengungen sind zugleich Investitionen in andere Sektoren, in denen mittel- und langfristige Profite ermöglicht würden.

Last updated on 2022-20-04 at 14:06